sagt Prof. Dr. Maria Leptin, Präsidentin des Europäischen Forschungsrates ERC.
Veröffentlicht am 12. September 2022
Prof. Dr. Maria Leptin Die deutsche Biologin der Universität zu Köln war über ein Jahrzehnt lang Direktorin der European Molecular Biology Organization (EMBO) und ist seit dem 1. Oktober 2021 Präsidentin des Europäischen Forschungsrats (European Research Council, ERC) in Brüssel.
Volker Stollorz
ist Geschäftsführer des 2015 gegründeten Science Media Center Germany (SMC).
Seit 1991 berichtet der Wissenschaftsjournalist aus Leidenschaft über die
Reibungszonen zwischen Wissenschaft und Gesellschaft.
01 Volker Stollorz: Herzlich willkommen, Maria Leptin. Schön, dass Sie bei der Initiative »Together for Fact News« mitmachen, die sich für einen evidenzbasierten Journalismus über Wissenschaft stark machen will. Ich denke, ich kann mit Blick auf Ihre Karriere sagen: Ihr akademisches Herz schlägt für die Grundlagenforschung. Als Präsidentin des European Research Council (ERC) dürfen Sie seit 2021 exzellente Forschende fördern. Ich habe gelesen, die Organisation kann 2023 rund 2,2 Milliarden Euro an rund Tausende Forschende in Europa verteilen oder wird verteilen können. Das klingt wie ein Glück nach einem erfüllten Forscherleben. Was begeistert Sie, so dicht an Neugier getriebenen, exzellenten Forschenden sein zu können?
Maria Leptin: Schwer zu sagen. Es ist eine schöne Aufgabe, für eine so wichtige Organisation wie den ERC die Präsidentin zu sein. Grundlagenforschung hat mich schon immer interessiert. Vielleicht nicht, weil ich das so ausgewählt habe, sondern mir ist eigentlich immer im Leben passiert, was passiert ist, ohne dass ich es groß geplant hatte. Und so bin ich in der Grundlagenforschung gelandet und weiß beim ERC, was ich da besonders schön finde. Ich habe ja vorher auch schon eine große internationale Organisation geleitet in der Biologie, in den Life Sciences. Was mir besonders interessant erscheint, ist, dass der ERC die ganze Breite der akademischen Forschung fördert. Eben nicht nur Medizin und nicht nur das, was eventuell auch mal zur Anwendung kommen könnte, sondern auch Philosophie und ganz esoterische Mathematik. Das finde ich besonders schön.
02 Beim ERC gilt ja das »Bottom-up-Prinzip«. Also Forschende melden sich, reichen Anträge ein, die sind allein von ihrer wissenschaftlichen Neugierde getrieben und nicht von politischen Prioritäten. Und die These dahinter ist, dass die Forschenden selbst am besten wissen, was interessant ist und was aktuell die Grenzen des Wissens gerade sind. Ist letztendlich diese Art von Neugier getriebener Grundlagenforschung – völlig offen, ohne Vorgaben – entscheidend für den Fortschritt?
Ich finde es völlig berechtigt, Geld zu investieren, um bekannte, existierende Probleme zu lösen. Das muss gemacht werden. Es gibt viele Probleme: in der Gesundheit, in der Technik, ganz klar beim Klima. Sie müssen gelöst werden und das kostet Geld. Aber die können nur deshalb gelöst werden, weil wir aus vorheriger Grundlagenforschung die Welt verstehen. Wir können die Welt nicht manipulieren, wenn wir nicht zuerst mal verstehen, wie die Welt funktioniert. Mit Welt meine ich alles in der Wirklichkeit: hier, die Pflanzen, die um uns herumstehen, die Tiere, an denen ich forsche, Menschen, unsere Gehirne, unsere Gedanken, die Gesellschaften, eben alles. Wir müssen alles verstehen. Dafür gibt es Forschende und die wissen selbst am besten, was wir nicht verstehen. Wenn sie Ideen haben, wie wir das herausfinden, dann soll ihnen Geld gegeben werden, um das zu machen. Das führt dann dazu, dass das Wissen da ist, um zukünftige Probleme zu lösen. Wobei das nicht der einzige Grund ist, weshalb man forschen sollte ...
03 Sondern?!?
Ja, Forschen aus Neugier! Es wird ja auch vieles herausgefunden, von dem wir gar nichts haben. Wenn wir wissen, wie das schwarze Loch da oben aussieht, dann ist das einfach irrsinnig toll, dass man das erforschen kann, dass man da gucken kann, dass man das herausfinden kann. Und die Leute sind ja auch begeistert. Es steht auf der ersten Seite von Zeitungen – aber es hilft uns zu gar nichts. Es ist einfach nur toll, und so viele andere Sachen auch.
04 Sie haben mal in einem Interview gesagt »Ich bin ziemlich schlecht darin, wenn es um Vorhersagen geht. Ich liege da meist falsch. Deswegen schaue ich mir als Forscherin an, was Spaß macht. Folge aber aufmerksam den Hinweisen, die Ergebnisse im Labor liefern«. Das klingt für mich so ein bisschen wie: Umwege und Irrwege führen oft zu den interessantesten Entdeckungen. Kann man das so sagen?
Das kann man auf alle Fälle so sagen. Vor allem führen Entdeckungen in manchen Gebieten zu Fortschritten in völlig anderen Gebieten. Auch da sind die Forscher am besten. Alle Kollegen, die ich kenne sind immer interessiert, was es Neues gibt, was machbar ist, neue Methoden oder was Leute in anderen Gebieten machen. Oft, wenn man auf Konferenzen ist oder auch auf Retreats von Instituten, redet man plötzlich mit Leuten, mit denen man sonst nicht so geredet hat und stellt fest, dass die Sachen machen können, wo man denkt: Mhhh, könnte bei uns auch gehen. Das ist die Aufmerksamkeit, die man haben muss. Alle guten Forscher, die ich kenne, die haben das. Die interessieren sich dafür, was andere machen. Aus solchen Gesprächen ergeben sich oft ganz neue Sachen.
05 Mit welchen Argumenten werben Sie eigentlich bei EU-Politikerinnen und Politikern für den Wert der Grundlagenforschung? Also was sagen Sie denen, wenn die Politiker sagen: Ja, Geld ist knapp! Also lieber die Innovation fördern statt die Grundlagenforschung ...
Beim Klimawandel ist es ja ganz klar nicht die Forschung, die nicht aktiv ist, das ist die Politik. Die Wissenschaftler haben schon lange gesagt, dass es den Klimawandel gibt, haben den vorausgesagt, und da muss etwas gemacht werden. Das liegt nicht in der Hand der Wissenschaftler. Aber es gibt natürlich ein ganz hervorragendes Beispiel aus der Vergangenheit, gerade jetzt. Damit meine ich die Impfstoffe gegen COVID, die sind innerhalb von Rekordzeit entwickelt worden. Nicht weil da jemand gesagt hat, wir machen jetzt hier »Operation Light Speed«. Sondern weil Wissenschaftler auf Wissen aus jahrzehntelanger Grundlagenforschung zurückgreifen konnten, darunter auch europäische Wissenschaftler, die vorher durch den ERC gefördert worden waren, aber ihr Wissen wiederum aus einem anderen Gebiet gewonnen hatten. Die haben natürlich vorher keinen COVID Impfstoff entwickelt, weil es kein COVID gab, aber sie haben ihr Wissen benutzt, um diesen neuartigen Impfstoff zu entwickeln. Einmal bei AstraZeneca in Oxford und einmal hier bei uns in Mainz, bei BioNtech. Das ist das beste Beispiel. Sie haben Wissen aus den vergangenen drei Jahrzehnten benutzt, um in rasanter Kleinarbeit konzentriert diese Impfstoffe zu entwickeln. Ohne die Vorarbeit wäre das nicht passiert.
06 Wir sitzen hier in einem Gewächshaus der Universität zu Köln. Sie haben ja auch einen Lehrstuhl am Institut für Genetik. Und da ist mir noch mal in den Sinn gekommen, dass hier in Köln am Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung – in den 80er Jahren habe ich hier studiert – den ersten Tabakpflanzen ein artfremde Stück Erbgut eingepflanzt wurde: die Geburt der GMO sozusagen. Und dann, im Mai 1990, waren hier in Köln auch die ersten Freisetzungsversuche, jedenfalls in Deutschland, mit Petunien. Und ich erinnere mich noch, dass ich damals in einem Seminar gesessen habe, »Gentechnologie in Öffentlichkeit« bei Peter Starlinger. Dadurch bin ich letztlich in den Wissenschaftsjournalismus gekommen, weil es ja damals schon öffentliche Kontroversen gab, wir hatten zum Beispiel einmal Bombenalarm in der Botanik, da protestierte eine Gruppe, die nicht so gut fand, was in der Gentechnologie lief. Und bis heute hat es ja die grüne Gentechnik in Europa, aber auch in Deutschland eigentlich schwer, also jedenfalls in der Anwendung. Und deswegen meine Frage an Sie: Haben Sie da eigentlich eine Hypothese? Was ist eigentlich schiefgelaufen?
Ich verstehe es ehrlich gesagt nicht. Es gab bestimmte, berechtigte Angst, dass genetisch veränderte Organismen, dass man die ja nicht kennt, dass man nicht weiß, was da passieren könnte. Bei uns bei den Fruchtfliegen ist es ja genauso. Die Vorschriften, die wir haben, dass die Drosophila nicht entkommen können, die da draußen in der Welt überhaupt nicht lebensfähig wären, die sind immens. Ich verstehe die Bedenken nicht. Ich verstehe, dass es damals Angst gab, aber ich verstehe die Überreaktion nicht. Vor allem haben wir jetzt 40 Jahre Erfahrung mit Gentechnik, sowohl bei Pflanzen als auch bei Tieren. Jetzt kennen wir die Gefahren beziehungsweise wissen, wie gering die sind. Ich verstehe nicht, warum sich das bisher immer noch nicht geändert hat.
07 Ein Aspekt, der damals ja auch interessanterweise eine Rolle spielte, war die Kommerzialisierung, also die Idee, dass praktisch der Kommerz hinter der Biotechnologie sozusagen nicht im Interesse der Bürgerinnen und Bürger ist, sondern im Interesse der Agrokonzerne, die bestimmte Formen der Landwirtschaft propagieren, die wir als Bürger aber nicht unbedingt gut finden. Das war also im Kern keine wissenschaftliche Kritik ...
Genau, aber es gibt ja Gesetze, die regulieren, was Firmen dürfen und was Firmen nicht dürfen. Das ist ja in anderen Gebieten genauso. Das hat mit Gentechnik nichts zu tun. Klar ist es nicht schön, wenn dann Samen produziert werden, die der Bauer nicht wiederverwenden kann und die er jedes Jahr von Monsanto kaufen muss. Aber das ist die Wirtschaft. Das hat nichts mit der Gefahr von Gentechnik zu tun. Und dass es ein Verkaufsplus ist, wenn da draufsteht »ohne Gentechnik«, das verstehe ich nicht.
08 Ich habe mir die Pressemitteilung Ihrer Ernennung, als Sie ERC-Präsidentin geworden sind, angeschaut, da haben Sie gesagt: »Unsere Gesellschaft braucht dringend objektives, auf Wahrheit basierendes Wissen, nicht nur in den Naturwissenschaften, sondern auch in all den anderen Bereichen der Kultur, die eine gute Allgemeinbildung ausmachen«. Und jetzt gibt es aber – jedenfalls kann ich das als Journalist nach drei Jahren Corona sagen –, Menschen, die – und auch in den Wissenschaften sogar selbst – die bezweifeln, dass es in der Wissenschaft auf Wahrheit basierendes Wissen gäbe. Es gibt sogar Leute, die sagen, die Wissenschaft selber ist zu einer Art Religion mutiert, die eher auf Autorität statt auf Aufklärung beruht. Was antworten Sie solchen Skeptikern?
Das sehe ich persönlich nicht. Ich sehe es einfach nicht. Ich sehe, wie sich meine Kollegen gegenseitig kritisieren. Wenn jemand mit was ankommt, mit irgendeiner Entdeckung, die einem komisch vorkommt, dann glaubt man es erst mal nicht und dann wird der gelöchert und muss weiter experimentieren. Ich sehe immer den Diskurs innerhalb der Forschung. Ich sehe die Skepsis. Jetzt außerhalb der Forschung. Ja, es heißt, es wird jetzt alles durch Fake News dominiert und keiner vertraut der Wissenschaft mehr. Es gibt den Edelmann-Report, der jedes Jahr guckt: Worin hat die Bevölkerung Vertrauen oder nicht? Und es stellt sich heraus, das spiegelt sich überhaupt nicht wieder. Tatsächlich hat die Bevölkerung zunehmend mehr Vertrauen in Wissenschaftler. Na klar, nicht jeder vertraut den Wissenschaftlern, aber mehr als euch Journalisten und den Politikern. Also ein Großteil der Bevölkerung vertraut schon der Wissenschaft. Und es war ja auch früher so, da wurden Gespräche am Stammtisch geführt und die blieben am Stammtisch. Das Problem ist, jetzt finden Stammtisch-Gespräche auf internationalen Plattformen wie Twitter und Instagram und sonst wo statt. Und da hört man es halt mehr. Ich glaube nicht, dass es schlimmer geworden ist. Und extreme Meinungen gibt es immer. Ich glaube, wir müssen uns einfach darauf verlassen, dass die Mehrheit doch der Wissenschaft und echten Fakten vertraut. Natürlich wäre es schön, wenn alle der Wissenschaft vertrauen würden und wenn alle verstehen würden, das ist fast das Wichtigste: wie Wissenschaft funktioniert. Wissenschaftler sagen nicht, wir wissen, dass ist 100 % sicher, das gibt es nicht. Wir sagen: wir sind 98 % sicher. Das ist dann so sicher, wie man überhaupt nur sicher sein kann. Wenn dann Leute sagen: Ja, 2 % unsicher, ihr wisst ja nicht mal, wovon ihr redet. So ist es nicht. Und es ist die wissenschaftliche Methode, die verstanden werden muss, das Denken in Wahrscheinlichkeiten statt Gewissheiten. Da muss man aber in der Schule bei Kleinkindern anfangen.
09 Es gibt aber auch Leute, und das sind auch Forschende, teilweise andere Wissenschaftler, Soziologen zum Beispiel, die sprechen so ein bisschen vom Zeitalter der post-normalen Wissenschaft, die sich sozusagen in vier Aspekten definiert: Zuerst, die Fakten sind unsicher. Zweitens, die Dinge lassen sich eben noch nicht klären, drittens, die Werte sind umstritten, wir streiten uns also darum, was eigentlich jetzt das Richtige ist. Und viertens: Die Einsätze sind hoch. Das heißt, es geht um richtig viel ... Klimaschutz, jetzt oft mit hohen Kosten oder später. Und die Entscheidungen sind zudem dringlich. Und das gerade in diesen Situationen, wo das so ist – und Corona hat uns ja auch ein paar Beispiele gezeigt, dass das so war – dass da die traditionelle Wissenschaft eigentlich Probleme hat, weil sie eben die Wahrheit oder die Sicherheit, die du gerade gesagt hat, die 98 % nicht liefern kann, noch nicht liefern kann.
Ich meine, das hat schon Karl Popper gesagt, man kann nicht beweisen, man kann nur falsifizieren. Und an der vordersten Front der Forschung gibt es Unsicherheit, da ist nichts zu machen. Aber es gibt ja einen riesigen Fundus an robustem Wissen, der da ist und alles andere ist als politisch. Ich möchte nicht einer von den Politikern gewesen sein vor zwei Jahren, die Entscheidungen treffen mussten über Impfpflicht oder nicht, über Masken oder nicht. Es geht ja immer noch so. Aber das sind keine wissenschaftlichen Fragen, das sind politische Fragen, das sind Werte. Ich finde, damit sollte man die Wissenschaft in Ruhe lassen und das sollten sich Wissenschaftler auch nicht anmaßen. Wir müssen liefern, was wir liefern können mit der Sicherheit, die wir geben können oder eben nicht: der Unsicherheit. Denn wir können nicht sagen, wir sind 100 % sicher und nachher stellt sich raus die 2 %, da war eben doch was, wo wir die Messmethoden nicht genau genug hatten. Und das müssen die Bürger verstehen, dass es in der Politik keine Sicherheit geben kann. Viel weniger als in der Wissenschaft noch.
10 Kommen wir jetzt mal zur Berichterstattung über Wissenschaft und da würde mich zunächst interessieren. Jetzt ein ganz subjektiver Eindruck gerne auch. Kommt eigentlich Ihrer Meinung nach die Berichterstattung über Grundlagenforschung im aktuellen Journalismus zu kurz?
Das kommt natürlich darauf an, wo man hinguckt.
11 Wo gucken Sie hin? Also, wie informieren Sie sich?
Ich lese im Wesentlichen New York Times, BBC, CNN und da könnte gerne mehr Wissenschaft sein... Aber wie gesagt, manche Sachen erscheinen ja: das Schwarze Loch oder das Higgs-Boson. Also ein gewisses Interesse ist da. Natürlich wäre es schön, wenn mehr dieser Aspekt, wie die Wissenschaft funktioniert, wenn das klarer würde. Aber an sich gibt es anständigen Wissenschaftsjournalismus. Natürlich.
Ich persönlich hätte ein Interesse daran, dass da mehr wäre. Es gibt Zeitungen, die machen das gut. Aber soweit ich weiß, gibt es auch inzwischen weniger festangestellte Wissenschaftsjournalisten. Selbst bei den guten Zeitschriften, das ist natürlich schade ... in der Zeit, wo wir immer mehr angewiesen sind auf Wissenschaft.
12 Aber schade, nicht so schlimm, manche sagen, dass könnten die Wissenschaftler auch selber machen ...
Manche Forscher sind hervorragend, ihre eigene Wissenschaft an den Mann oder die Frau zu bringen. Der ERC vergibt einen Preis für Wissenschaftskommunikation, für ihre geförderten Wissenschaftler, die rausgehen und in ihrer Umgebung ihre eigene Arbeit den Bürgern klar und verständlich machen und auch nutzbar machen. Also das sollte man belohnen, das sollte man fördern. Aber es kann nicht jeder.
13 Aber der Wissenschaftsjournalismus hat ja auch die Rolle der Kritik von Wissenschaft, von schlechter Wissenschaft, von übertriebener Wissenschaft, Hype, Fehlverhalten in der Wissenschaft. Das sind alles Aspekte, die auch ja zum Realismus über Wissenschaft eben dazugehören. Und da gibt es aber wiederum die Kritik, dass eben wir Wissenschaftsjournalisten manchmal zu unkritisch seien gegenüber der Wissenschaft. Also wir seien Teil der Wissenschaftskommunikation und erklären dem Volk halt, was die Wissenschaftler auch selbst erklären können. Aber das ist gar nicht unsere Rolle. Wir sollen die Wissenschaft kritisieren, da wo sie Fehler macht. Es gibt ja auch Fehlentwicklungen, zum Beispiel die Flut der Publikationen, finde ich, also das ist ja ein Problem für Journalismus, das a) zu verarbeiten und b) mein persönlicher Eindruck, es wird auch viel schlechte Wissenschaft publiziert. Und das ist natürlich schwer zu erkennen von draußen, wenn man nicht der Experte im Feld ist und das ist für die Öffentlichkeit schwierig, da die Filterfunktion aufrechtzuerhalten, so viel Schrott sozusagen.
Ja, ja, die Öffentlichkeit kann da auch nicht die Filterfunktion haben. Die Filterfunktion ist der Peer Review Prozess und den müssen Experten durchführen. Ich stimme völlig zu. Es wird viel zu viel publiziert und das kommt daher, dass sich eine Methode eingeschlichen hat, um Wissenschaftler zu beurteilen, bei der auch geguckt wurde, wie viel publiziert wurde, statt darauf zu gucken, was qualitativ publiziert wurde. Aber das wird ja Gott sei Dank jetzt sehr stark hinterfragt. Überall. Es gibt eine Bewegung, das Research Assessment, das heißt die Auswertung der Beurteilung von Wissenschaftlern zu überdenken, also eben weg von der Menge und hin zur Qualität. Das ist nicht einfach. Der Experte erkennt Qualität und versteht die Filterfunktion von gutem wissenschaftlichem Publizieren. Es gibt Zeitschriften, die haben gute Filterfunktion, die sind bekannt. Und dann gibt es welche, die publizieren nur für Geld. Wenn du bezahlst, dann kriegst du deine Publikation hier untergebracht, aber denen vertraut man nicht. Da ist aber ein Wissen innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft. Die Vergabe von Fördergeldern wird auch beurteilt durch den Review Prozess. Das sind auch Wissenschaftler, die sagen: der stellt jetzt oder sie stellt jetzt diesen Antrag und das will er oder sie machen, ist ja ganz toll, aber alles, was er bisher publiziert hat, ist etwas halbseiden. Das können die beurteilen. Und dann gibt man so jemanden, wo alles ein bisschen wacklig ist, nicht so gerne Geld wie jemanden, der nachweisen kann, dass das, was gemacht wurde, auch von Kollegen und der Wissenschaftswelt anerkannt wurde.
14 Gibt es eigentlich Fehlentscheidungen, also Leute, die abgelehnt wurden – Oh Gott, das war keine gute Idee?!?
Was ist eine Fehlentscheidung? Wir können nicht alle fördern, die für gut befunden sind. Ich hätte gerne doppelt so viel Geld für den ERC. Es werden ja nur 12, 13 % der Projektanträge gefördert, die nächsten 12, 13 % im Ranking könnte man auch fördern. Also wenn das eine Fehlentscheidung ist, die nicht zu fördern, ja, dann macht der ERC jedes Jahr tausende von Fehlentscheidungen. Aber es sind keine Fehlentscheidungen, es geht halt nicht. Das Geld ist nicht da. Das heißt, man muss umgekehrt fragen, kommt bei denen, die gefördert werden, nichts raus? Ja klar kommt da manchmal nichts raus. Das ist aber extrem selten. Dass wirklich gar nichts rauskommt, da gibt es ganz wenige Fälle, Aber dass nicht der große Vorwärts-Sprung kommt oder nicht der große Durchbruch, das kommt vor, denn Forschung an der vordersten Front ist risikobehaftet, sonst machen wir keine Entdeckung. Wenn wir schon vorher wissen, was wir entdecken, ist das keine Entdeckung. Das heißt: Klar, ungefähr ein Drittel von den Projekten ist nur das, was man »inkrementell« nennt, also kleine Schritte. Aber diese kleinen Schritte müssen auch gemacht werden, auf denen bauen weitere große auf.
15 Gut, dann komme ich jetzt zum Schluss noch zu meinen drei Fragen zu unserer Initiative. Also »Together for Fact News«, da würde ich einfach mal gerne von Ihnen hören, was Sie ganz persönlich empfinden, wenn Sie das hören, »Together for Fact News«, also nicht »Fake News«, sondern »Fact News« ... Wie interpretieren Sie das?
Ich finde das super. Wir haben vorhin darüber geredet: Sollen Wissenschaftler mehr tun, um ihre Forschung in der Wissenschaft nahezubringen? Ja, bitte, wenn ihr es könnt. Es können nicht alle. Manche sind nicht gut, manche sind zu schüchtern oder unbeholfen. Manche haben keine Idee, wie man mit Nichtwissenschaftlern redet und machen aber tolle Forschung. Was ich toll fände wäre, wenn viel mehr Journalisten zu uns in die Labore kommen würden und wirklich gucken, was wir machen und darüber erzählen. Auch von der Unsicherheit und auch von den Fehlern, die gemacht werden und der Gefahr von Fehlern. Was machen wir eigentlich damit? Das wäre toll. Wir müssten Programme haben. Übrigens will da der ERC auch ein Programm ausschreiben, das solche »Science Journalists in Residence« fördern kann.
16 Gibt es ein Schlüsselerlebnis, wo Sie entweder selber Erfahrung mit gutem Journalismus über Wissenschaft hatten oder wo Sie das Gefühl hatten, da hat der Journalismus auch in den öffentlichen Debatten Unterschiede gemacht, also im Wissenschaftjournalismus, etwa bei Corona. Wie haben Sie das erlebt? Es ist ja auch so, dass viele kommunizierende Wissenschaftler immer wieder sagen: Oh Gott, das ist mir zu laut, das ist mir zu stressig, da ist zu polarisierend, da ziehe ich mich lieber wieder zurück, geh ins Labor, mach meine Erkenntnisse.
Ja, manche Wissenschaftler sind natürlich schlimm angegriffen worden. Aber das kommt daher, dass da unter großem Stress sehr viel von der Wissenschaft gefordert wurde und es wurde keine Unsicherheit toleriert. Es ist wie in diesem Film »Don’t Look Up«: Vielleicht trifft der Komet uns ja nicht, also leben wir weiter. Die Unsicherheit, die war nicht gefragt. Also ich denke, da waren die Wissenschaftler unter viel zu großem Druck, um das zu liefern, was erwartet wurde. Und dann wurden sie angegriffen, wenn es halt nicht so kommt oder wenn die Politik dann daraus die falschen Schlüsse zieht. Wobei der Politiker auch nicht wissen konnte, was der richtige Schluss war. Die hatten ja generell den gleichen Stress.
17 Das war ja klar, dass niemand zunächst genau wissen konnte, sicheres Wissen hatte. Jedenfalls am Anfang. Und wenn man niemand sicheres Wissen hat, dann gucken alle auf die Wissenschaft. Habt ihr welches? Dann sagt die Forschung: Nein, wir auch nicht.
Ja, aber da sollte man draus lernen.
18 Was denn?
Dass es so ist. Es kann keine Sicherheit geben über die Zukunft. Die ist ja noch in der Zukunft. Wir wissen es ja nicht. Weder in der Politik noch in der Wissenschaft.
19 Aber die Pfadabhängigkeit zum Beispiel beim Klimawandel, da ist die Wissenschaft ja relativ klar in ihren Prognosen.
Ja, da gab es eine Prognose, und die wurde lange nicht geglaubt. Und dann, als es klar wurde, dass es einen Klimawandel gibt, dann wird nicht geglaubt, dass er von Menschen gemacht ist. Es gibt ja immer Leute, die sagen, das hat mit uns nichts zu tun, das ist normale Schwankung und wir brauchen dann nichts zu tun. Das ist für mich unfassbar. Da kann ich nichts zu sagen, wenn nicht geglaubt wird, was da draußen passiert. Und wenn nicht geglaubt wird, dass es Möglichkeiten gibt, die man anwenden kann, kann man nur alle Hoffnung verlieren.
20 Mein Eindruck war, dass bei Corona die Mehrheit nicht ausgereicht hat. Also Sie haben ja auch schon gesagt, ich sehe es ja genauso, die Mehrheit der Menschen, auch in Deutschland sowieso, vertraut noch der Wissenschaft, aber guter Wissenschaft nenne ich es mal vorsichtig. Aber wenn man 95% braucht für bestimmte Maßnahmen wie Impfungen, dann reicht halt die Mehrheit nicht. Das ist ja ein demokratisches Paradox. Beim Klimawandel ist es ja auch so, wenn alle was tun müssen und eigene Kosten dafür haben müssen, damit der Planet, die Menschheit gerettet wird, dann reicht da die Mehrheit nicht. Und das ist natürlich ein Paradox. Also zum Schluss noch mal zu »Together for Fact News« – unsere Initiative. Wir wollen, dass Argumente der Wissenschaft im öffentlichen Raum eine größere Rolle spielen. Sie machen mit. Zum Schluss die Frage: Warum machen Sie mit?
Ja, als Wissenschaftler sind Fakten wichtig. Und wir müssen alles machen, damit die ankommen und verstanden wird, dass die Fakten Fakten sind. Und die hat man sich als Wissenschaftler nicht politisch ausgedacht. Da gibt es keine Schönfärberei, das muss verstanden werden.
21 Das heißt, Sie bleiben optimistisch, dass das gelingt?
Natürlich bleibe ich optimistisch. Die Mehrheit sieht das so, es ist aber keine Mehrheitsfrage, es ist eine Verständnisfrage und viele verstehen‘s. Und wenn‘s nicht alle verstehen, dann müssen wir uns bemühen, es klarer zu machen, es deutlich zu machen und wir müssen dranbleiben.
Gut. Ganz vielen Dank, dass Sie dabei sind.
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