Im Gespräch mit
Dr. Dietrich Krauß

Satiriker



»Kann ich ein Publikum mit Fakten erreichen, die nicht in sein Weltbild passen?«,

fragt sich Dietrich Krauß.

Veröffentlicht am 20. Januar 2023

Dr. Dietrich Krauß ist Autor und Redakteur der ZDF-Sendung »Die Anstalt«. Für die Arbeit wurde er mit dem Grimme-Preis und mit dem deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet. Von 1994 bis 2014 arbeitete als Journalist bei der ARD u.a. für Plusminus (SWR/SR), Monitor (WDR) und produzierte Dokus zu Wissenschaft und Wirtschaftsthemen. Der Diplom-Journalist promovierte 2001 an der Ludwig-Maximilians-Universität-München zur Politischen Philosophie der Dekonstruktion bei Jacques Derrida. Mit der Anstalt-Satire sucht der Journalist nach einem »barrierefreien Zugang zur Politik für alle.«

Volker Stollorz
ist Geschäftsführer des 2015 gegründeten Science Media Center Germany (SMC). Seit 1991 berichtet der Wissenschafts­journalist aus Leidenschaft über die Reibungszonen zwischen Wissenschaft und Gesellschaft.

01 Volker Stollorz: Wunderbar, dass Sie bei »Together for Fact News« mitmachen, einer Initiative des Science Media Center, mit der sich Forschende und Medienschaffende für einen kompetenten und integren Journalismus über Wissenschaft einsetzen. Sie haben auf der »WISSENSWERTE« in Bremen einen Vortrag über den satirischen Umgang mit Fakten gehalten mit dem Titel »Zum Totlachen – Journalismus und Satire in polarisierten Öffentlichkeiten«. Wie fühlt man sich als Redakteur der Satiresendung Die Anstalt auf der Jahrestagung der Wissenschaftsjournalisten in Deutschland?

Dietrich Krauß: Na ja, vor meiner Karriere als Satiriker war ich ja ernsthafter Journalist. U.a auch für Wissenschaftsthemen, von daher war es sehr spannend, einmal hautnah die Debatten im Wissenschaftsjournalismus live zu erleben, der bisher nach meiner Wahrnehmung noch nicht so von politischen Machtkämpfen und Interessenkonflikten dominiert ist, sondern sich stärker an den Wissensquellen der Wissenschaft orientiert. Interessanterweise ist genau das der Weg, den auch unsere Satire-Sendung Die Anstalt irgendwann eingeschlagen hat.

 
 

02 Wie kam es dazu?

Weil ein Bezug auf Wissenschaft letztlich die spannenderen und bereichernderen Diskussionen ermöglicht. Wir versuchen als Satiresendung nicht einfach entlang der politischen Kampflinien noch mal ein bisschen mehr zuzuspitzen, sondern wollen laufende öffentliche Diskussionen mit Fakten anreichern. Eine frühe Grundidee war, dass wir nicht mehr so einen Gemischtwarenladen als Satiresendung machen wollten, sondern jeweils eine monothematische Sendung. Sobald man nun aber diesen monothematischen Ansatz fährt, heißt es eben tiefer in eine Thematik einsteigen und da kommt man früher oder später mit wissenschaftlichen Texten in Berührung, die politische Auseinandersetzungen immer häufiger grundieren.

03 Man stößt also auf das, was in einer verwissenschaftlichten Gesellschaft oft hinter politischen Diskussionen liegt, das Wissen und die Fakten hinter den aktuellen Themen des Tages.

Genau, und das empfinden wir in der Anstalt, wie gesagt, oftmals aufregender als eine schlagwortartige politische Kommentierung, die eigentlich meist nur die eigenen Weltsichten und Ressentiments bestätigt. Indem wir mit den Mitteln der Satire versuchen, den Zuschauern die Grundlagen von Problemen in der Wirklichkeit näherzubringen, begegnen wir automatisch häufiger auch dem Wissenschaftsjournalismus.

 
 

04 Einer Ihrer Kernthesen lautet, dass Satire und Analyse kein Gegensatz sein müssen. Im Gegenteil: Wer vom Witz einer Sache spricht, meine ja gerade ihren Kern. Die Suche nach der richtigen Pointe könne also helfen, zu den zentralen Widersprüchen eines Themas hinzuführen. Ich sehe hier ein Parallele, denn der Wissenschaftsjournalismus muss letztlich auch zum Kern einer Sache vorstoßen und diesen dann in aller Kürze erzählerisch interessant machen. Laut dem Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen ist die Funktion von gutem Journalismus eine »Komplexität erhaltende Komplexitätsreduktion«. Albert Einstein soll mal gesagt haben: »Mache die Dinge so einfach wie möglich, aber nicht einfacher«. Daher nachgefragt: Wie gelingt es der Satire, zum Kern einer Sache vorzustoßen, um dann mit Witzen Funken zu schlagen?

Satire spielt stets mit dem Offenlegen von kaschierten Widersprüchen. Im Idealfall kommt der Witz nicht als Garnitur obendrauf, sondern der Satiriker versucht, eine Sache so weit zu durchdringen, dass die Widersprüche im Witz sichtbar werden. Mir ist die Weihnachtssendung noch präsent, da ging es um Inklusion von Behinderten und wie quasi versucht wird, sie zu machen und zugleich nicht zu machen. Also politisch den Forderungen der Behinderten-Konvention der Vereinten Nationen nachzukommen, aber zugleich am Schulsystem gar nichts ändern zu wollen. Und das führt dann eben zu so absurden Konstruktionen wie: Wir fahren eine Sonderschulklasse ins Gymnasium und die wird dort in einem gesonderten Raum unterrichtet unter einem Dach – es gibt vielleicht noch eine Sportstunde gemeinsam und dann fährt sie wieder heim. Sowas heißt bei uns Inklusion.

05 Aber wie genau macht Satire diese Scheinwelt unterhaltsam greifbar?

Im konkreten Beispiel haben wir die Situation verglichen mit Schrödingers Katze in einer Kiste, also der These, die Behinderten sind irgendwie da und gleichzeitig nicht da. Also das sind dann Aspekte, die in einem technokratischen Diskurs über Inklusion vielleicht weniger auffallen. Wenn man es verdichtet auf den Kern, geht es politisch darum, etwas vorzuspielen, was eigentlich gar nicht passiert. Mit diesem Widerspruch können wir dann an verschiedenen Punkten den Kern von so einem Problem im politischen Diskurs aufspießen.

 
 

06 Ein weiteres Beispiel war die Sendung über den Strommarkt.

Ja, plötzlich steht der Strommarkt wegen der Gaskrise im Fokus der politischen Debatte, aber eigentlich versteht keiner, wie diese Strombörse funktioniert. Da sind wir Satiriker oft erstmal auf dem Stand wie unsere Zuschauer und werden mit der Aktualität konfrontiert und denken, ich verstehe diese Welt, die hinter den politischen Diskussionen steht, überhaupt nicht. Auch das gehört zu Satire: sich ehrlich zu machen über die Unkenntnis vieler Zusammenhänge, aber dann dabei nicht stehen zu bleiben, sondern den eigenen Erkenntnisprozess unterhaltsam auf die Bühne zu bringen.

Im milla-club.de – Danke für die Unterstützung

 

07 Ich sehe dabei eine zentrale Herausforderung einer solchen, wie Sie es nennen, »journalistischen Satire«, die auch im Wissenschaftsjournalismus besteht: Beide können bei komplexen Sachthemen meistens kein Vorwissen im Publikum voraussetzen.

Genau, wir müssen diesen Wissensschatz in unserer Sendung erst mal Stück für Stück herstellen. Im klassischen Kabarett war das einfacher, das definiert sich als Spiel mit dem Wissenszusammenhang des Publikums: Weil die Zuschauer das politische Tagesgeschehen präsent haben, kann der Kabarettist mit diesem Material praktisch sofort Witze machen. Wer jedoch Satire über den politischen Umgang mit den Komplexitäten des Strommarkts machen will, der muss eben erstmal erklären, wie der funktioniert.

08 Manchmal kommen Teile der Sendung wie eine Vorlesung an der Uni rüber ...

Das stimmt, leider. Manche Zuschauer erleben Die Anstalt inzwischen gelegentlich als belehrend. Aber wenn man nicht auf einer bestimmten oberflächlichen Ebene stehen bleiben will, die inhaltlich auf Dauer uninteressant ist, dann muss man tiefer einsteigen und die komplexen Zusammenhänge der Wirklichkeit erstmal darlegen. Natürlich wollen wir dabei stets pointiert sein. Aber die komische Ebene wird oft gar nicht mehr wahrgenommen. Es ist eben der Fluch der journalistischen Satire, am Ende nur noch als Informationssendung wahrgenommen zu werden. Aber ich als Satiriker finde es letztlich schön, dass im Grunde ein politischer Diskurs schlicht anders funktioniert als ein wissenschaftlicher, das ist ja eben der Witz, aus dem die Satire schöpfen kann.

 

09 Die Wissenschaft ist eben keine Demokratie, wo über die Wahrheit einer Aussage einfach abgestimmt wird.

Zwar gibt es auch bei Wissenschaftlern zunächst oft viele widerstreitende Positionen, aber langfristig strebt die Forschergemeinde einen Konsens in Fragen der Wirklichkeit an. In der Politik sind dagegen gerade Konflikt und Pluralismus konstitutiv. In der politischen Philosophie gibt es zwar die Habermassche Theorie, wonach sich Subjekte im Diskurs allein durch die Kraft der rationalen Argumente auf einen Konsens verständigen können. In der Praxis aber dominiert das Verständnis, wonach sich in der Demokratie unterschiedlicher Werte und Interessen artikulieren und am Ende die Mehrheit entscheidet. Es läuft eben nicht darauf hinaus, dass am Ende alle von der Sache überzeugt sind.

 
 

10 Wo sehen Sie Probleme im öffentlichen Diskurs, wenn wissenschaftliches Wissen wie zu Zeiten von Corona zunehmend politisiert und polarisiert wird?

Ein Problem ist, wenn beide Ebenen, die politische und die wissenschaftliche, argumentativ kurzgeschlossen werden. Dann kann ein starker innerwissenschaftlicher Konsens als diktatorischer Mainstream wahrgenommen werden, obwohl es sachlich was ganz anderes ist, nämlich das Ergebnis eines wissenschaftlichen Diskurses, der unter kompetenten Forschenden zu einem robusten Wissen geführt hat. Dieses Wissen wird allein im Lichte neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse revidiert, nicht aber durch politische Willensbekundungen. Dieser Unterschied zwischen wissenschaftlichem Konsens und politischer Meinungsbildung wurde bei Corona bis zum Schluss nach meinem Eindruck nicht richtig verstanden. Deshalb bildet sich auch so eine komische Bewegung wie dieses Querdenken, die selbst einen soliden wissenschaftlichen Konsens als eine Form der Diktatur empfinden.

11 Wie geht es denn nach der Pandemie weiter mit dem journalistischen Ansatz der Satire?

Satire reagiert immer auf das, was im wahrgenommenen Mainstream-Journalismus passiert. Der war vielleicht in den Jahren vor Corona einfach zu wenig faktenorientiert und zu sehr an Erzählformaten und Narrativen ausgerichtet. Und deswegen ist da eine Lücke entstanden, in der ausgerechnet eine Unterhaltungssendung mit Fakten punkten konnte, weil sich der eigentliche Journalismus aus lauter Angst vor dem Publikum seltener getraut hat, komplexe Zusammenhänge aufzuzeigen. Das ändert sich inzwischen rapide. Auch der Wissenschaftsjournalismus wird populärer, überhaupt ist der Faktor Orientierung viel wichtiger geworden. Das heißt, aktuell lautet die Frage, wo heute der Raum für die Satire ist, wenn es jetzt zu einer Renaissance des analytischen Journalismus kommt. Ich denke, die journalistische Satire wird bleiben, weil es natürlich auch ermüdend ist, wenn schlimme oder schwierige Themen stets nur in einem nicht unterhaltsamen Gestus präsentiert werden. Da ist die Abwehr im Publikum einfach höher und da sehe ich weiterhin Chancen für journalistische Satire.

 
 

12 Gab es bei Ihnen ein Schlüsselerlebnis, warum guter Journalismus über wissenschaftliche Themen wichtig ist?

Nehmen wir das Beispiel Rente, wo ständig mit nur auf den ersten Blick einleuchtenden Metaphern gearbeitet wird. Ein Narrativ ist zum Beispiel: Wir kriegen immer weniger Kinder, deswegen müssen wir alle immer weniger Rente erhalten. Das leuchtet unmittelbar ein, aber stimmt es überhaupt? In solchen Fällen ist es einfach toll, dagegenhalten zu können mit guter Wissenschaft. Es gibt einfach viele politische Diskurse, die von Grundannahmen ausgehen, die kaum einer hinterfragt. Außer eben die Wissenschaft und die steht dann häufig quer zum politischen Diskurs.

13 Im Grunde ist Wissenschaft ja zum begründeten Widerspruch erfunden worden. Also die Wirklichkeit erforschen, die erstmal niemand zur Kenntnis nehmen will, etwa den Klimawandel als Folge des Verbrennens fossiler Energien. Es ist ein bekanntes Schicksal von Wissenschaft und auch des Journalismus über Wissenschaft, dass er oft mit Narrativen in Konflikt gerät, die aktuell dominieren. Die journalistische Frage ist dann, wie kann ich ein Publikum erreichen mit einem Wissen, das seiner Weltsicht oder Identität oft fundamental widerspricht?

Mir war gar nicht so klar, dass das im Wissenschaftsjournalismus ein so wichtiges Grundthema ist. Aber es stimmt, im Grunde versucht man auch in der Satire Dinge zu sagen, die offizielle Narrative stören. Aber gleichzeitig darf das dann wieder nicht zum Grundprinzip werden, dass man sagt, ich argumentiere grundsätzlich gegen die offiziellen Narrative und dann ist man schon irgendwie auf der richtigen Seite. Das Abdriften vieler Gesellschaftskritiker während der Pandemie hat gezeigt, wohin ein solcher oppositioneller Reflex führen kann.

 
 

14 Unser Motto lautet »Together for Fact News«. Wie klingt das für Sie?

Das klingt fast tautologisch, denn »Fact News« sind doch hoffentlich alle news, weil in den Nachrichten ja hoffentlich immer richtige und wichtige Fakten drinstecken. In jedem Journalismus steckt ja immer Recherche als Zugang zur Wirklichkeit mit drin.

 

15 Wir haben Sie als Kanalarbeiter fotografiert. Wie kam es zu diesem Bild?

Na ja, wir haben ganz pragmatisch nach originellen Motiven im Umkreis von 500 Metern unseres Schreibraums gesucht. Wir Satiriker sind im Grunde der »Underground« des Journalismus. Wir greifen die Sachen auf, die andere liegen lassen. Die Abwässer in der Kanalisation sind das, was weggespült wird, keiner kümmert sich um diese Dinge und schaut, was ist davon relevant und was sagt das aus über unsere Gesellschaft. Wenn man das Bild strapazieren will, heißt Satire zu schauen, was unter der Oberfläche der Diskurse so alles an Wirklichkeit schlummert.

 

16 Herr Krauß, vielen Dank für dieses kurzweilige und ernsthafte Gespräch über die überraschende Verwandtschaft von journalistischer Satire und Wissenschaftsjournalismus.

PDF zum Download (1,5 MB)